Liebe Gemeinde!
Sie waren bestimmt schon oft in Situationen, in denen Sie „das Nachsehen“ hatten.
Das Nachsehen haben …..
Ich bin mir gar nicht sicher, ob die Jüngeren unter uns, insbesondere die Konfirmanden, diese Redewendung überhaupt noch kennen ….
Das Nachsehen haben …..
Die sprichwörtliche Redeweise vom „Nachsehen“ hat tatsächlich eine lange Tradition. Sie begegnet bereits im 16. Jahrhundert, zum Beispiel in der Geschichte von Till Eulenspiegels lustigen Streichen. Auch Martin Luther hat die Redewendung gekannt und in seinen Schriften verwendet. Heute dagegen begegnet sie nur noch selten.
Das Nachsehen haben ….
Was ist eigentlich damit gemeint? In den einschlägigen Wörterbüchern wird der Ausdruck so umschrieben: • nichts abbekommen • schlecht wegkommen • leer ausgehen • schauen, wo man bleibt Ich nehme mal an, dass dieser Ausdruck entstanden ist, weil man einer verpassten Möglichkeit hinterher-trauert. Man kann die Chance, die man hatte, nicht mehr ergreifen, sie ist unserem Zugriff entzogen. Man kann ihr nur noch hinterherschauen – und hat deshalb das „Nachsehen“.
Bei diesen Umschreibungen fallen jedem und jeder von uns sicherlich viele Beispiele ein, wo es uns genau so erging, wo wir uns als Verlierer gefühlt haben oder uns maximal mit der zweitbesten Möglichkeit, mit Plan B zufriedengeben mussten, weil eben andere diese Nase vorne hatten.
In dem für heute vorgesehenen Predigttext hat niemand geringerer als Mose selbst „das Nachsehen“. Im 2. Buch Mose wird erzählt, wie Mose auf dem Gottesberg Sinai die 10 Gebote auf zwei steinernen Tafeln in Empfang nimmt. In den 10 Geboten ist unter anderem das Verbot festgehalten, sich von Gott ein Bild zu machen. Das „Bild“, das man sich von Gott machen soll, ist sein guter Wille, wie er eben in den 10 Geboten enthalten ist.
Als Mose vom Berg zurückkehrt, muss er zu seinem Entsetzen feststellen, dass das Volk Israel nicht warten konnte und sich stattdessen ein eigenes Gottesbild angefertigt hat, das berühmte und berüchtigte „Goldene Kalb“, eigentlich ein Stierbild. Voller Wut zerrschlägt Mose die beiden Steintafeln, weil Israel den Bund mit Gott gebrochen hat. Anschließend verordnet Mose dem Volk, Reue zu zeigen und Buße zu tun. Dann steigt er erneut auf den Gottesberg Sinai, um sich mit Gott zu beraten. Gott ist verständlicherweise verärgert und möchte das Volk Israel vernichten. Aber Mose legt ein gutes Wort für Israel ein. Und Gott lässt sich erweichen ….
In diesem Zusammenhang äußert Mose eine Bitte. Es ist eine gewagte Bitte. Ich lese, was im 2. Buch Mose, im 33. Kapitel aufgeschrieben ist:
18 Und Mose sprach zu Gott: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, des-sen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herr-lichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Liebe Gemeinde! Wie ich gerade gesagt habe: Es ist eine gewagte Bitte, die Mose da hat. Er will Gottes Herrlichkeit, sehen, gewissermaßen Gott direkt ins Angesicht schauen. Wahrscheinlich wird diese Bitte ausgelöst durch die Diskussion um das Götzenbild, das die Israeliten angefertigt haben und das Verbot, sich von Gott ein Bild zu machen. Mose möchte Gott in vollem Umfang sehen. Er will Gottes Herrlichkeit sehen. – Und er bekommt … einen Korb: „Nein“, sagt Gott, „das darfst du nicht und das kannst du nicht. Du würdest diesen Anblick nicht überleben. Kein Mensch kann das. Auch du nicht, Mose. Und wenn du mir noch so nahe stehst ….“
Eigentlich empfinde ich Gott hier als sehr fürsorglich: Gott weiß, dass der Blick auf seine volle Herrlichkeit jeden Menschen völlig überfordern würde. Gott will Mose und auch uns nicht in den Wahnsinn treiben. Darum ist es heilsam für uns, das richtige Maß aus Nähe und Distanz zu Gott finden. Vielleicht geht es uns hier, wie wenn man in die Sonne sehen möchte. Die Sonne, das Licht, ist der Ursprung des Lebens. Es gibt kein Leben auf die-ser Erde ohne die Sonne. Und doch, - wer direkt in die Sonne sehen will, wird schwer Schaden nehmen an seinen Augen. Darum darf man ja auch Sonnenfinsternisse nur mit speziellen Schutzbrillen betrachten. Wer Gott sehen möchte, braucht ebenfalls einen Schutz. Gottes Herrlichkeit zieht vorüber. Mose wird aber währenddessen in einer Felsspalte von der Hand Gottes abgedeckt. Dann, als Gott vorübergezogen ist, dann darf Mose Gott hinterherschauen. Mose hat somit, im wahrsten Sinne des Wortes, das Nachsehen. Er kann Gott gerade noch hinterherschauen.
Das wird eine Enttäuschung für Mose gewesen sein, oder? Es war die einmalige Chance für Mose. So nahe war er Gott noch nie gewesen, so intensiv wie jetzt war das Verhältnis noch nie. Und dann hat er doch das Nachsehen. Dazu fällt mir ein, dass es eine ganz eng verwandte Redeweise gibt:
Das Nachsehen haben – und Nachsicht üben.
Wer nachsichtig ist, der kann verzeihen. Wer nachsichtig ist, der vergibt, weil er versteht, weil er Verständnis aufbringt …. Vielleicht hat Mose ja Verständnis für Gottes Entscheidung. Vielleicht hat Mose gespürt, dass Gott es gut mit ihm meint. Denn immerhin kommt Gott dem Mose ja ganz nahe. So nahe, dass er seine Hand über Mose legt und ihn in einer Felsspalte vor dem hellen Licht Gottes schützt. Mose spürt Gottes Hand über sich, fast wie zum Segen. So nah ist Gott. Aber dann ist er auch schon vorüber, - und Mose kann Gott nur noch hinterherblicken. Mose hat das Nachsehen, - und wird hoffentlich auch nachsichtig sein. Nachsichtig gegenüber Gott und gegenüber seinen eigenen Wünschen und Erwartungen. Denn man darf nicht vergessen, was Mose trotzdem alles erreicht: Mose hat es geschafft, dass sich Gottes Zorn über das Volk Israel legt. Außerdem wird Mose mit zwei neuen Steintafeln mit den 10 Geboten vom Berg heruntersteigen. Und in der Bibel heißt es weiter, dass seit dieser Begeg-nung auf dem Gottesberg ein ganz besonderer Glanz auf Moses Angesicht liegt . Auch, wenn Mose das Nachsehen hatte in der Begegnung mit Gottes Herrlichkeit, - die Absage Gottes war eine „glanzvolle“ Absage. Der „Plan B“, er hat trotzdem etwas mit Mose gemacht. Die Nähe Gottes hat etwas bewirkt. Nein, es war nicht umsonst. Und es war gut so, wie Gott mit Mose entschieden hat. Mose darf Gott nur hinterherschauen, aber er beginnt zu strahlen, er beginnt auszustrahlen, beginnt zu glänzen.
Liebe Gemeinde! Soweit einige Beobachtungen an unserem Predigttext. In unserem eigenen Leben kann es manchmal sein, dass wir meinen, zu kurz zu kommen, das Nachsehen zu haben. Vielleicht hadern wir dann auch mit Gott, sind unzufrieden mit dem, was uns geblieben ist. Vielleicht haben wir gebetet und gebetet, - und es ist nicht so gekommen, wie wir es uns gewünscht oder erhofft haben. Im Gegenteil. Wir müssen unter Umstanden mitanschauen, wie andere uns vorgezogen werden. Dann bitte ich an diese Stelle um „Nachsicht“ im Namen Gottes. Seid nachsichtig! Und vertraut darauf: Kein Gebet bleibt ungehört. Denn Gott ist euch nahe. Und diese Nähe, die macht etwas mit euch. Und sie bewirkt etwas Gutes, - vielleicht nicht gleich, vielleicht nicht das Gute meiner Wahl. Aber die Hand Gottes ist über mir.
Und wenn jemand Gottes Angesicht unbedingt sehen will, dann soll er einfach in die Krippe schauen oder ein Kruzifix betrachten. Denn das Verbot, sich ein Bild von Gott zu machen, es gilt in diesem Sinne für uns Christen nicht. In Jesus ist uns das wahre Angesicht Gottes begegnet. Und das dürfen wir anschauen, ohne Gefahr und ohne Einschränkung. Vor allem aber wünsch ich Euch eines: Ich wünsche euch das Leuchten, das Strahlen in Eurem Gesicht, wie damals bei Mose. Ich wünsche euch helle Gedanken, auch, wenn ihr vielleicht das Nachsehen hattet. Ich wünsche euch eine Ausstrahlung, die auf eure Mitmenschen abfärbt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, gebe einen hellen Schein in unsere Herzen und auf unsere Gesichter in Christus Jesus. Amen.