Nachdem aber Johannes, der Täufer, gefangen gesetzt war, kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium! (Markusevangelium 1,14-15)
Liebe Gemeinde!
Vor zwei Jahren ist das Turmdach unserer Dreieinigkeitskirche erneuert worden. Im Zusammenhang mit dieser Maßnahme wurden auch die vier Zifferblätter der Turmuhr ausgetauscht. Die alten Zifferblätter waren durch die Witterungseinflüsse ziemlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Und, nachdem wir das Gerüst am Turm stehen hatten, nutzte die Kirchengemeinde die Möglichkeit, auch das Erscheinungsbild der Turmuhr aufzufrischen. Ziemlich schnell kam die Idee auf, die alten Zifferblätter nicht einfach zu entsorgen, sondern an Interessenten gegen eine Spende abzugeben. Es dauerte gar nicht lange, da hatten alle vier Zifferblätter Abnehmer gefunden. Eines der alten Zifferblätter ziert jetzt eine Gartenscheune an der Straße in Richtung Tremau. Bei meinen Spaziergängen fällt mein Blick regelmäßig auf das alte Zifferblatt. So ist mir vor einigen Wochen die Idee gekommen, ein Foto von der Gartenscheune mit dem Zifferblatt zum Thema meiner Jubelkonfirmation zu machen.
Dieses Bild mit dem alten Zifferblatt erinnert zunächst einmal an die Vergänglichkeit: Wir leben alle unter den Bedingungen von Raum und Zeit. Wir wissen alle, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist. Nicht nur die Zifferblätter einer Kirchturmuhr, auch wir selbst werden älter. Die Zeit läuft. Auch bei euch, den Jubilarinnen und Jubilaren, ist seit der Konfirmation, seit eurer Jugend, viel Zeit vergangen. Man spürt es, dass man keine 14 oder 20 Jahre mehr alt ist. Viel ist passiert in den vergangenen 25, 50, 60 oder 70 Jahren. Erinnerungen haben sich angesammelt, manchmal auch tief eingebrannt: Wir mussten Menschen loslassen und das Abschiednehmen aushalten. Wir haben uns gefreut über die Geburt von Kindern, Enkeln, Nicht und Neffen. Wir haben dazugelernt, sind nicht nur älter, sondern auch erfahrener und reifer geworden. Die Zeit läuft und ist nicht spurlos an uns vorübergegangen. Aber es gibt auch viele Gründe, um froh und dankbar zu sein. Und vor allem dafür soll hier und heute Zeit und Raum sein. Nein, auch ich selbst will keine 14 oder 20 Jahre mehr alt sein. Dann wären zwar meine Knochen, Bänder und Sehnen zwar noch etwas belastbarer, und die Schrift müsste nicht immer größer werden, um sie noch ohne Brille lesen zu können. Aber ich hätte alle diese wunderbaren Momente nicht erlebt, ich hätte meine Frau und meine Kinder nicht. Nein, da will ich mit niemandem tauschen. Die Zeit läuft, - und das ist gut so. Niemand kann die Zeit anhalten, - und ich für meinen Teil will es auch nicht.
Ich kehre in Gedanken noch einmal zu der Uhr an der Gartenscheune auf dem Foto zurück: Das alte Zifferblatt am Tremauer Weg hat sogar zwei neue Zeiger bekommen. Diese sind aber nur Dekoration, nehme ich an. Denn die Zeiger stehen eigentlich immer auf 5 vor 12, wenn ich sie sehe. Das erinnert mich daran einmal daran, dass es in unserer Welt in vielen Belangen wirklich 5 vor 12 ist.
Die Uhr, die sich nicht mehr bewegt, ist außerdem ein Symbol für eine andere Zeit in unserem Leben: Diese andere Zeit kannst du nicht in Stunden, Minuten und Sekunden einteilen:
Es gibt die angefüllte Zeit. Und es gibt die erfüllte Zeit.
Die angefüllte Zeit, das ist die Zeit mit Terminen, geprägt vom Rhythmus der Tage, Wochen, Monate und Jahre. Das ist die Zeit, die in Terminkalendern festgehalten wird. Das ist die Zeit, die vergeht. Von der erfüllten Zeit spricht Jesus im Markusevangelium. Wir haben es vorhin als biblische Lesung gehört. Nachdem Jesus von Johannes getauft worden ist, beginnt er öffentlich aufzutreten. Und die Botschaft, die Jesus verkündet, sie lautet: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ Die erfüllte Zeit, - das sind die Momente, in denen sich Lebensträume erfüllen, wenn Hoffnungen und Wünsche wahr werden. Die erfüllte Zeit, das sind Augenblicke, in denen ich Gottes Nähe spüre. Die erfüllte Zeit umgibt mich, wenn ich, wie man heutzutage sagt, im Flow bin, wenn es läuft, wenn ich ganz und gar aufgehe, in dem, was ich tue. Das sind Momente, in denen die Zeit irgendwie still zu stehen scheint, wo ich gar nicht merke, wie die Zeit vergeht. Es ist, als ob ich mich in einer anderen Welt aufhalte, obwohl ich noch hier bin. Wenn man frisch verliebt ist, geht es einem oft so. Oder auch in der Weihnachtszeit, wenn man gar nicht mehr weiß, welcher Tag überhaupt ist.
In der Bibel ist sehr oft von der „Endzeit“ die Rede, von der „Apokalypse“ oder vom „Jüngsten Gericht“. Viele gläubige Menschen verbinden damit die Erwartung, dass die Welt mit ihrer Zeit, die man messen kann, zu Ende geht. Dann bricht ein neues, ein ganz anderes Zeitalter an. Und dann erfüllen sich die Verheißungen, die Versprechungen Gottes an sein auserwähltes Volk. Es kommt zum gerechten Ausgleich: Die Bösen werden bestraft und die Guten belohnt. Jesus hat dieses Ende der Welt immer wieder in seiner Botschaft erwähnt. Aber er hat auch gezeigt: Die erfüllte Zeit, das Gefühl von Glückseligkeit, von Geborgenheit und liebevoller Verbundenheit mit Gott, das gibt es auch schon in dieser Welt, in unserer Zeit. Jesus hat gezeigt: Unser Gott ist immer da. Er war immer da und wird bis zum Ende der Welt da sein. Jedes Mal wenn wir uns mit Gott ganz eng verbunden fühlen, dann passiert ein Stück Ewigkeit mitten in unserer Zeit, dann ist die erfüllte Zeit angebrochen, dann erfüllen sich unsere Sehnsüchte und Wünsche.
Ich mag gerne bei Psalmgebeten diesen feierlichen Lobpreis am Ende: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.
Wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen.
In dieser „Doxologie“, so nennt man diesen feierliche Lobpreis, begegnet uns diese erfüllte Zeit. Sie verläuft parallel zu unserer messbaren Zeit oder durchkreuzt sie immer wieder: Am Anfang der Welt, jetzt und in Zukunft passiert es, dass die Zeit reif ist. Reif für Gott.
Liebe Jubilarinnen und Jubilare! Ich wünsche euch in eurem Leben ein sattes Maß an dieser erfüllten Zeit. Ich wünsche euch, dass euer Leben nicht nur angefüllt ist mit Aufgaben, Herausforderungen, Terminen, Stress und Arbeit. Ich wünsche Euch dieses Gefühl, dass ihr gehalten und geborgen seid, dass euch immer wieder Wellen von Glück und Zufriedenheit überfluten, dass ihr seinen Segen spürt. Dann ist Gott euch ganz nahe. Hört vor allem nicht auf, Gott zu suchen. Jesus hat uns gesagt: Wer Gott sucht, der wird ihn auch finden. Denn wir haben einen Gott, der sich finden lässt und der in unserem Leben sein Spuren hinterlässt, - in Zeit und Ewigkeit. Amen.