Liebe Gemeinde!
Die Worte, die heute als Predigttext vorgesehen sind, sie gehören zu den größten Zumutungen, die uns in der Bibel begegnen. Was wir im Matthäusevangelium lesen, ist für uns unerträglich. Und doch sind die Worte, die Jesus spricht, absolut notwendig. Eine Zumutung - unerträglich und notwendig zugleich. Wir lesen davon in der so genannten „Bergpredigt“ Jesus steigt auf einen Berg. Dort setzt er sich. Im Sitzen, wie das damals üblich war, predigt Jesus zu seinen Jüngern - und wahrscheinlich zu anderen Menschen. Die Bergpredigt gehört zu den bekanntesten Stücken der Bibel. Aber nicht alles, was Jesus sagt, ist leicht zu verdauen. Zum Beispiel seine Worte über die Vergeltung und die Feindesliebe.
Ich lese den Predigttext bei Matthäus im 5. Kapitel: Jesus spricht zu seinen Jüngern: Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will. Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« (3.Mose 19,18) und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden? Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Liebe Gemeinde! „Wenn die jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm die andere hin“, sagt Jesus, – und dann soll man auch noch seine Feinde lieben …. Jesus mutet uns da schon einiges zu. Wie soll das gehen ? Wie sollen wir das umsetzen? Auf der anderen Seite frage ich mich: Ist es nicht genau das, was die Welt im Moment so dringend braucht? Verzicht auf Vergeltung und Feindesliebe?
Dazu ein Beispiel aus der Politik: In den Tagen des Israel-Gaza-Krieges erinnerte Nikolaus Schnabel, der Abt der Benediktinerabtei Dormitio auf dem Berg Zion in Jerusalem neulich an das, was für uns Christen jetzt zu tun ist: Die Politiker in der ganzen Welt reden vom Selbstverteidigungsrecht Israels und dem Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Abt Nikolaus hält dieses Reden für gut und richtig – für die Politiker. Dazu sind Politiker da, um über solche Dinge zu reden. Aber müssen die Kirchen diese Standpunkte mit leicht erhobenem Ton und frommem Pathos wiederholen? Abt Nikolaus sagte: „Viel klingt für mich nach Staatsräson und sehr wenig nach Bergpredigt. Statt von Staatsräson zu sprechen und Krisendiplomatie zu betreiben – dazu sind die Politiker berufen –, sollten die Kirchen das schwere Pfund der Feindesliebe in die Debatte einbringen. Es muss eine Stimme laut werden, die Jesu Worte stark macht und die nicht auf Gewalt und Vergeltung setzt.“ Und noch etwas sagte Abt Nikolaus, was mich persönlich sehr betroffen macht: „Wir Christen beten natürlich wir für die Opfer. - Wer aber betet für die Mörder? Also für einen Menschen, der das Schlimmste tat, was ein Mensch tun kann? Für mich gehört es dazu, jetzt auch für die Täter zu beten, dass sie voller Erschrecken erkennen, was sie Furchtbares getan haben, bereuen und einen barmherzigen Gott finden.“
Soweit die Worte des Benediktinerpaters aus Jerusalem. Zu meinen Aufgaben als Pfarrer gehört es jede Woche, Fürbitten zu formulieren. Mir ist schon oft in den Sinn gekommen, nicht nur für die Opfer, sondern auch für die Täter zu beten. Ausformuliert und laut gebetet habe ich Fürbitten für Täter nur sehr selten. Warum eigentlich? Jesus spricht von Feindesliebe. Der erste Schritt, seine Feinde zu lieben, ist eine neue Sicht. Ja, die Schwachen brauchen das Gebet. Aber sind immer nur die Freunde schwach? Nicht auch die Feinde? Gehören nicht nur die Opfer zu den Schwachen, sondern auch die Täter? Mir wird klar: Indem ich mir die Mühe mache, auch die Feinde in mein Gebet einzuschließen, bringe ich ihnen Aufmerksamkeit und damit eine gewisse Wertschätzung entgegen. Eine Wertschätzung, die Jesus ganz konsequent und bis ganz zuletzt vorgelebt hat. Selbst am Kreuz betet Jesus für seine Feinde, für die, die ihn verurteilt und hingerichtet haben: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Übrigens: Wenn Jesus von „Feindesliebe“ spricht, dann sagt er auch, - das wird gerne übersehen, - dass die Feinde eben „Feinde“ sind. Jesus beschönigt nichts. Vor deinen Feinden musst du dich in Acht nehmen. Du darfst dich nicht von ihnen verführen lassen. Du musst auf der Hut sein vor deinen Feinden. Aber du sollst sie trotzdem lieben. Weil Sie auch Menschen und keine Ungeheuer sind. Weil Gott seine Sonne über Böse und Gute aufgehen lässt, über Gerechte und Ungerechte, sagt Jesus. Niemand muss seinem Feind um den Hals fallen oder ihn zum Abendessen einladen. Wobei Letzteres nicht undenkbar ist, aber schon hohe Kunst. Es geht erst einmal um eine neue Sichtweise: Wer seinen Feinden nur Wut und blanken Hass entgegenschleudert, mit Worten und mit Taten, der wird den ewigen Kreislauf von Blutvergießen, von Tod und Vertreibung nie beenden, sondern immer wieder neu anfachen. Und im Moment agieren die Brandstifter von Hass und Vergeltung überall auf der Welt wieder besonders erfolgreich, - nicht nur im Nahen Osten, auch in unserem Land.
Als Christen kämpfen wir nicht mit Waffen aus Metall, sondern mit den Waffen des Glaubens. Und dieser Glaube will Frieden schaffen zwischen Gott und uns Menschen und zwischen den Menschen untereinander. Es ist völlig klar: Dieser Weg, der Weg des Verzichts auf Gewalt, ist ein ganz schwerer Weg. Jesus ist ihn gegangen. Aber wer von uns kann ihm da auch nur annähernd folgen?
Ich denke, niemand von uns muss sich überfordern. Ein erster Schritt wäre schon einmal gut: eine andere Sicht zu pflegen auf die Menschen, die wir als Feinde bezeichnen. Wenn wir es schaffen, Feinde mit Augen der Liebe anzusehen, ohne dabei zu vergessen, dass diese Menschen mir nichts Gutes wollen, dass diese Menschen selbst vom Hass verblendet und vom Neid verführt worden sind. Aber es geht auch darum, der Liebe etwas zuzutrauen. Denn die Liebe kommt von Gott. Sie ist die wirksamste Waffe gegen das Böse. Ich rede jetzt nicht von einer naiven und fahrlässig-gutgläubigen Liebe. Jesus war kein weltfremder Spinner. Ganz im Gegenteil. Er hat die Welt durchschaut. Und darum war er anders. Weil nur so die Welt anders wird.
Aber die Herausforderung bleibt, liebe Gemeinde. Trotzdem sind wir nicht gut beraten, wenn wir einfach achtlos oder kopfschüttelnd an diesen Versen aus der Bergpredigt vorbeigehen und sie ignorieren. Jesus sagt die Worte vom Verzicht auf Vergeltung und von der Feindesliebe nicht zum Spaß. Da, wo jemand verzichtet zurückzuschlagen oder es nur ansatzweise schafft, seine Feinde in einem anderen Licht zu sehen, da blüht etwas vom Reich Gottes auf. Da blüht etwas von dem Reich auf, das Zukunft hat, weil es Menschen versöhnt, statt sie umzubringen.
Von einem unbekannten Verfasser stammt folgende kleine Anekdote: Vor der Schlacht tritt der Offizier an seine Truppen heran und sagt feierlich: „Soldaten, jetzt geht es Mann gegen Mann.“ Daraufhin erwidert der Infanterist Rubin: „Herr, Offizier, zeigen Sie mir bitte meinen Mann! Vielleicht kann ich mich gütlich mit ihm verständigen.“ Es ist eine alte Weisheit, dass der Feind sofort etwas von seinem Schrecken verliert, wenn er ein Gesicht bekommt. Wenn wir dann noch mit einem liebevollen Blick in das Gesicht des Feindes sehen, ohne dabei leichtsinnig oder naiv zu sein, dann kann sich auf unserer Welt vielleicht doch etwas zum Guten wenden.
Auch bei uns in Deutschland radikalisieren sich immer mehr Menschen. Die letzten Wahlergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Es gehört zum Wesen des radikalen Denkens, die Welt in schwarz und weiß, in Freund und Feind aufzuteilen und sich abzugrenzen. Darum ist das Zeugnis unseres Glaubens so wichtig. Auch und gerade, wenn unsere Kirche kleiner wird. Wir glauben an einen Gott keine Mauern baut, weil die Kraft der Liebe Mauern überwindet. Wir glauben an einen Gott, der weiß, dass es Feinde gibt und immer geben wird. Entscheidend ist der Umgang mit den Feinden. Entscheidend für Krieg und Frieden.
Jesus sagt: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.